„Heiliger Tanz“ – so wird eine Thai Yoga Session auch genannt. Und die Bezeichnung passt: Ein geübter Thai Yoga Praktizierender tanzt in Stille. Mit fließenden Bewegungen bringt er den Empfänger in verschiedene Yogapositionen, die diesem helfen, loszulassen.
Auf Thailändisch heißt Thai Yoga-Massage „Nuad Phaen Boran“. Das bedeutet übersetzt „uralte heilsame Berührung“. Thai Yoga nutzt das alte Wissen des Ostens rund um den Energiekörper des Menschen und kombiniert dies mit der wunderbaren Wirkung der Berührung. Der Legende nach wurde die Traditionelle Thai Massage 500 Jahre vor Christus von dem Leibarzt von Buddha Dr. Shivago Komarpaja begründet und ist eine Mischung der drei Heildisziplinen Yoga, Ayurveda und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM).
Der Begriff „Thai Yoga“ scheint gegenüber dem der „Thai Massage“ etwas präziser zu sein – und das aus mehreren Gründen: Viele der klassischen Yoga-Asanas finden sich auch im Thai Yoga wieder. Das System der Energielinien, im Yoga Nadis genannt, existiert in ähnlicher Form auch bei den sogenannten Sen-Linien, die während einer Thai Yoga-Behandlung bearbeitet werden. Außerdem soll der Begriff „Thai Yoga“ deutlich machen, dass es sich um eine spirituelle Praxis der Achtsamkeit handelt.
Warum achtsame Berührung so wichtig ist
Thai Massage ist der Tradition nach zwar auch eine solch spirituelle Praxis und wurde als Erstes von Mönchen in Klöstern ausgeübt. In den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich die Thai Massage jedoch zu einer Touristenattraktion und zur billigen Einnahmequelle vieler Thais, die Massagen an öffentlichen Orten wie am Strand und am Nachtmarkt anbieten. Die Qualität der Behandlung und der Geist der Achtsamkeit gingen dabei vielfach verloren. So hat die Thai Massage bei vielen Menschen leider zu Recht den Ruf, schmerzhaft und unachtsam zu sein. Dabei erschafft Achtsamkeit erst den sicheren Raum, in dem der Empfänger entspannen und loslassen kann. Achtsam zu sein, heißt in diesem Fall, mit seinen Sinnen und mit seiner Aufmerksamkeit ganz bei seinem Partner zu sein. Dadurch entsteht ein stiller Dialog zwischen Geber und Empfänger: Ich berühre und spüre im selben Moment, was mein Empfänger empfindet und ob ich die Druckintensität steigern oder reduzieren soll. Wenn ich achtsam bin, wird es mir nicht passieren, dass ich meinem Empfänger durch zu harten Druck Schmerzen zufüge.
Um sich von der „schnellen“ Thai-Massage abzugrenzen, wird die Thai Yoga-Massage auch Traditionelle Thai-Massage genannt.
Energie zum Fließen bringen
„Der Westen kennt 10.000 Krankheiten und ihre Ursachen.
Der Osten nur eine: Blockade von Energie.“
(Asiatisches Sprichwort)
Während der westlichen Schulmedizin das Weltbild zugrunde liegt, dass alles auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung beruht, ist die Thai Yoga-Körperarbeit eine ganzheitliche und vorbeugende Form der Behandlung mit dem Ziel, Harmonie im Energiekörper des Klienten herzustellen, um physische Blockaden aufzulösen oder im besten Fall gar nicht erst entstehen zu lassen. Auch wenn intensiv am Körper gearbeitet wird – mithilfe von Handballen, Daumen, Knien, Ellenbogen oder Füßen – so steht doch nicht der physische, sondern der Energiekörper im Mittelpunkt der Arbeit.
Der Energiekörper soll den indischen Yogis zufolge aus 72.000 Energielinien, den sogenannten Nadis, bestehen, auf denen die Lebensenergie (Prana) fließt. Die chinesische Medizin verwendet dagegen den Begriff Chi für die Lebenskraft und kennt 12 Hauptmeridiane, die den Organen und ihren Funktionen zugeordnet sind. In der Thai Yoga-Körperarbeit wird mit zehn Haupt-Linien, den sogenannten Sen-Linien gearbeitet. Alle Dehnungen und Akupressur-Techniken wirken auf ein oder mehrere der Sen-Linien.
Um mit der Anwendung von Thai Yoga an einem Klienten zu beginnen, ist ein intellektuelles Verständnis der Linien nicht unbedingt nötig. Wichtiger als die Fähigkeit, das eigene Tun zu begreifen, ist es für den Praktizierenden die Energie und den Klienten zu spüren. Um zunächst die eigene Energie zu spüren, kann man folgende Übung an sich selbst ausprobieren:
Reiben Sie Ihre Hände aneinander, bis sie warm werden. Nun lösen Sie die Handflächen leicht voneinander, sodass sie sich nicht mehr berühren, Sie aber trotzdem Ihre eigene Körperwärme wahrnehmen können. Experimentieren Sie damit, die Hände aufeinander zu und wieder voneinander weg zu bewegen, aber nur soweit, wie Sie das leichte Kribbeln noch fühlen.
Was passiert bei achtsamen Berührung im Thai Yoga?
Die Abfolge von Druck- und Dehntechniken sind fließend und ganz auf die Bedürfnisse des Klienten ausgerichtet. Muskel für Muskel und Gelenk für Gelenk bekommt er durch die passiven Yogapositionen den Raum zu entspannen und loszulassen.
Neben der Wirkung auf den Energiekörper ist es vor allen Dingen die Kraft der achtsamen Berührung, die eine Thai Yoga-Behandlung so entspannend und heilsam macht. Noch immer unterschätzen viele Menschen die Rolle von Berührungen für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden. Dabei hilft ein Blick auf die eigene Entwicklung, um die Kraft der Berührung zu verstehen: Der Tastsinn ist der erste Sinn, mit dem wir die Welt erkunden. Wir erfühlen unsere Umwelt, noch bevor wir sie sehen oder hören. Und nach der Geburt ist der Körperkontakt zur Mutter die Erfahrung, in unserem Leben, die uns Kraft und Halt gibt.
Achtsame Berührungen sind deshalb so kraftvoll, weil sie nicht nur den Körper, sondern auch die Seele berühren. Sie schenken Sicherheit und Geborgenheit, weil sie unser Unbewusstes an diesen ersten so wichtigen Kontakt zur Mutter erinnern. Der Körper reagiert, indem er das Hormon Oxytocin ausschüttet, das mit Gefühlen wie Ruhe, Liebe und Vertrauen in Verbindung steht. Durch seine beruhigende Wirkung ist Oxytocin in der Lage, Stress zu verringern. Die Auswirkungen der Stress-Hormone Adrenalin und Kortisol werden dadurch gedämpft.
Und Berührungen machen gute Laune: Die verstärkte Ausschüttung der Glückshormone Dopamin und Serotonin kann die Stimmung aufhellen und Depressionen vorbeugen – ein heilsamer Hormoncocktail also. Außerdem können angenehme Berührungen chronische Schmerzen lindern, das Immunsystem stärken und den Blutdruck senken.
Weitere positive Auswirkungen von Thai Yoga für den Empfänger sind:
- nahezu alle Gelenke werden passiv bewegt und mobilisiert
- die Atmung, das Lymphsystem und die Durchblutung werden positiv beeinflusst
- Tiefenentspannung stellt sich ein, die die Selbstheilungskräfte stärkt
- Beruhigung des vegetativen Nervensystems
- Verbesserung des Schlafes
Geben und Nehmen ohne Anstrengung
Thai Yoga wird daher häufig auch als „Yoga für Faule“ bezeichnet, weil das Ausüben für den Gebenden und vor allem für den passiven Empfänger mit keinerlei Anstrengung verbunden ist. Denn der Körpertherapeut macht sich auf geschickte Art und Weise die Mechanik des eigenen Körpers zunutze: So wird das eigene Körpergewicht durch die gestreckten Arme für Akupressur-Techniken und Dehnungen am Körper des Klienten genutzt. Der Einsatz von Muskelkraft ist kaum nötig.
Das sieht nicht nur mühelos und tänzerisch aus, es gewährleistet auch die Entspannung des Empfängers. So kann ein Geber, der krumm sitzt, sich selbst unwohl fühlt oder schnell atmet, dem Gegenüber kaum etwas Gutes tun. Deshalb sollte er stets achtsam mit der eigenen Körper- und Geisteshaltung sein: Eine gestreckte Wirbelsäule und ein entspannter Rücken sorgen für einen guten Energiefluss. Und der Fokus auf den Wunsch, dem anderen etwas Gutes zu tun, hilft dabei, gedanklich nicht abzuschweifen.
Vier Prinzipien für den Gebenden
Die achtsame Anwendung von Dehn- und Mobilisationsübungen in der Thai Yoga-Körperarbeit durch den Therapeuten lässt den Klienten eine heilende Tiefenentspannung erfahren, die sich auf sein gesamtes System positiv auswirkt. Hier die wichtigen Behandlungsprinzipien im Überblick:
- Achtsamkeit
Bevor der Thai Yoga Praktizierende mit dem Thai Yoga-„Tanz“ beginnt, sollte er bei sich selbst ankommen: Dazu hat er die Augen geschlossen und fokussiert in Stille den Wunsch, dem Empfänger etwas Gutes zu tun. Dieser Vorsatz ist mindestens genauso wichtig wie die eigentliche Technik. Während der Massage besteht ein durchgehender Kontakt zwischen Geber und Empfänger. - Druckintensität langsam steigern
Alle Techniken sollten langsam und bewusst ausgeführt werden. Zunächst sollte der Druck oder die Dehnung sanft sein; bei mehreren Wiederholungen wird die Druck- oder Dehn-Intensität vorsichtig gesteigert.
- Körpermechanik
Der Thai Yoga Praktizierende nutzt sein eigenes Körpergewicht, nicht seine Muskelkraft! Für eine optimale Kraftübertragung sind die Arme des Gebers bei den allermeisten Techniken gestreckt. Spürt er, dass eine Technik ihn anstrengt, hält er inne und verändert zum Beispiel die Körperposition, den Winkel oder die Armposition etwas. Der Körper des Gebers ist immer in Zug- bzw. Druckrichtung zum Empfänger positioniert. - Rhythmus:
Alle Techniken werden in gleichmäßig langsamem Rhythmus ausgeführt. Keine Eile, aber auch keine Pause. Der konstante Rhythmus hilft dem Empfänger, dabei zu entspannen und loszulassen.
Am Ende einer Sitzung spürt der Klient noch einen Moment nach, der Geber bedankt sich und beendet die Sitzung, indem er die Hände vor dem Herzen zusammenlegt.
Das intensive, meditative Erleben der Stille und das Loslassen von allem, was beschwert, hat oft eine nachhaltige Wirkung. Die Thai Yoga Körperarbeit löst Blockaden auf körperlicher, emotionaler und energetischer Ebene auf und trägt zum umfassenden Wohlbefinden bei.
1. Armstretch
Der Geber geht in eine tiefe Schrittstellung, platziert seine Handballen unterhalb des Handgelenks des Empfängers und drückt sie sanft aufeinander. In der Ausatmung beginnt er nun, die Beine zu strecken, um den Arm des Empfängers zu dehnen.
Wirkung: Dehnung für Schulter und Arm. Auch Blockaden im Handgelenk können gelöst werden.
2. Schulterrotation
Der Geber macht einen Ausfallschritt und platziert eine Hand auf der Schulter des Empfängers. Die andere Hand hält dessen Handgelenk und zieht es sanft nach außen. Nun beginnt er langsam, große Kreise mit dem Arm zu beschreiben: dreimal im Uhrzeigersinn und dreimal gegen den Uhrzeigersinn.
Wirkung: Mobilisation des Schultergelenks.
3. Handballendruck auf den Hals
Der Geber macht entweder einen Ausfallschritt oder kniet sich hin. Er beugt den Kopf des Empfängers nach vorne. Dann verschränkt er seine Finger und übt mit den Handballen sanften Druck auf den Hals aus. Nun wandert er vom Nacken Richtung Schädelansatz und wieder zurück.
Wirkung: Lockerung des oberen Teils des Trapezius und anderer Nackenmuskeln.
4. Seitbeuge
Der Geber fixiert mit einem Knie den Oberschenkel des Empfängers. Nun beugt er dessen Oberkörper über sein Knie, während er mit seiner anderen Hand den gegenüberliegenden Oberschenkel nahe der Hüfte fixiert. In der Ausatmung des Partners verstärkt er dessen Seitdehnung, indem er sich vorsichtig mit seinem Köpergewicht gegen dessen Flanke lehnt. Diese Position wird einige Atemzüge gehalten, dann die Seite wechseln.
Wirkung: Dehnung der Flanken und Zwischenrippen-Muskeln.
5. Fußdruck auf Rücken
Geber und Empfänger greifen sich gegenseitig an den Handgelenken. Die beiden Füße des Praktizierenden werden links und rechts neben der Wirbelsäule platziert. Während ein sanfter Zug auf die Arme ausgeübt wird, übt der Geber zusätzlich abwechselnd Druck mit dem linken und rechten Fuß aus und wandert so den Rücken bis unterhalb der Schulterblätter herauf und wieder herunter. Tipp: Für eine Schulteröffnung kann man auch einen Fuß zwischen den Schulterblättern platzieren und sanften Zug ausüben.
Wirkung: Lockerung der Rückenmuskulatur (großer Rückenstrecker). Schulteröffnung und Dehnung des großen Brustmuskels. Entlastung der Hals-Nacken-Region.
Erschienen in "Natur und Heilen" im Juni 2015. Fotos: Nicole Wahl
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