von Sabine Winbeck
Als ich mein Kind in seinen ersten Lebensstunden in den Händen hielt, wurde mir bewusst, wie prägend diese ersten Berührungen sein müssen für diese kleine, zarte Seele. Berührung, die bedeuten sollen: „ Es ist alles gut, du darfst Dich hier wohl fühlen, Du darfst Dich geborgen fühlen, Du bist willkommen!“ In diesem Moment verstand ich, was ich zuvor über Berührung gelernt habe.
Ein kurzer Rückblick: Anfang diesen Jahres nahm ich an der Thai Yoga Ausbildung (Basiskurs) und später an der Aufbau-Ausbildung teil. Damals war ich gerade im ersten Trimester schwanger und wollte diese Zeit ganz bewusst erleben und mich in Verbindung üben. Die Thai Yoga Ausbildungen erschienen mir eine sinnvolle Unterstützung.
Tobias legt in seinen Ausbildungen besonderes Gewicht auf die innere Haltung, in der man mittels Thai Yoga einem anderen Menschen und auch sich selbst begegnet. Wissensvermittlung über die Technik und Qualität der Berührung wurde im Kurs immer mit einer inneren Haltung von Liebe, Offenheit für Verletzlichkeit und Ehrfurcht vor allem Leben verknüpft. Echte Begegnungen statt nur Techniken. Wie wichtig diese innere Haltung ist, die hinter jeder Berührung stehen sollte, wurde mir nun erst jetzt nach der Geburt meiner Tochter umfassend klar.
Bewusste Berührung
Man versetze sich in die Situation eines Neugeborenen: Neun Monate lang war dieses Kind umgeben von der schützenden Hülle der Gebärmutter, in warmen Wasser, bei gedämpftem Licht. Nun, frisch geboren, strampeln die Füße nicht mehr gegen einen Widerstand, sondern ins Leere. Die Händchen greifen in die Luft und auf der Haut sind kalte Luftzüge zu spüren. Der Magen verkrampft sich durch ein vorher nicht gekanntes Hungergefühl und das eigenständige Atmen strengt an. Was kann man also tun, um dieses Kind in dieser neuen Umgebung, der Welt, willkommen zu heißen? Und welche Rolle spielt dabei die Berührung?
Mir wurde klar wie wichtig es ist, echt und vollkommen präsent zu sein, wenn man dieses Neugeborene in den Arm nimmt. Auf der einen Seite passiert das ganz auf natürliche intuitive Weise, wenn man ein Baby hält, aber auf der anderen Seite ist eine Bewusstmachung so wie sie im Thai Yoga stattfindet unheimlich unterstützend, wertvoll und wichtig. Auch hier hilft es, sich in die Situation des Babys zu versetzen: Es kann sich noch nicht eigenständig fortbewegen und seine Bedürfnisse auch noch nicht differenziert mitteilen. Wie anstrengend, wie überfordernd muss es da sein, wenn man andauernd nebenbei betätschelt wird. Und wie wohltuend muss es sein, wenn sanfte, sichere Hände ganz einfach Halt geben und ganz in Ruhe und Langsamkeit Zuwendung schenken und spüren lassen.
Innerlich hörte ich im Wochenbett, die von Tobias oft wiederholten Leitsätze: „Jede Streichung, jeder Druckpunkt im Dreierrythmus, gaaaaanz langsam. 1,2,3 um in die Berührung zu gehen und 1,2,3 um aus der Berührung herauszukommen“. „ Den eigenen Atem wahrnehmen, die eigene Körperspannung, die eigenen Emotionen“. „ Das Einstimmen am Anfang jeder Session als Grundvorraussetzung“ „ immer auch sich selbst spüren“„ die Augen schließen um mehr ins Spüren zu gehen“ „auf die Intuition lauschen“ „nichts planen, nichts konzipieren, sondern genau hinhorchen, was jetzt gerade gebraucht wird“.
Und der wichtigste Satz: „Thai Yoga ist wie Tanzen“. Und so tanze ich jeden Tag mit meiner Tochter. Jedes In-Den-Arm-Nehmen, jeder Lagewechsel, jedes Wickeln und jedes an die Brust legen mit Achtsamkeit, Präsenz und Ruhe. Zumindest ist das der Versuch. Und ich konnte und kann immer noch spüren, wie sehr das meiner Tochter hilft, sich in dieser Welt wohlig und zu Hause zu fühlen. Und auch mir selber schaffte die Kombination aus achtsamer Berührung und bewusster Atmung Erleichterung, wenn ich mich von der neuen Mutterrolle überfordert fühlte und bei mir die Tränen flossen. Die beschriebene innere Haltung schenkte mir Vertrauen in meine Ressourcen und gab mir die nötige Stabilität, um die neuen Aufgaben zu meistern.
Weniger ist mehr
Zusätzlich war mir auch meine Hebamme eine tolle Unterstützung, von der ich in die Kunst der Baby- Schmetterlingsmassage eingeweiht wurde. Die Babymassage ergänzte sich wunderbar mit Thai Yoga. Meine Hebamme öffnete mir die Augen dafür, dass die Empfindungswelt eines Babies sich von den Bedürfnissen eines Erwachsenen auf manchen Ebenen unterscheidet. Alle Sinneskanäle sind noch weit, weit offen und weniger Druck, ganz federleichte Berührung oder simple, flächige Ausstreichungen sind völlig ausreichend. Ganz schnell kann sonst eine wohlgemeinte Massage das Kind überfordern und reizüberfluten. Außerdem gab sie mir hilfreiche Hinweise zur Körpersprache meiner Tochter, die mir deutlich zeigt, ob sie sich für Berührung und Ausstreichungen öffnet oder lieber nur gehalten werden möchte.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese allerersten Berührungen ein ganzes Leben, ja eine ganze Gesellschaft, prägen können. Frühkindliche Erfahrungen mit Berührung haben nachweislich Einfluss darauf, ob ein Mensch sich mit seiner Umwelt verbunden fühlt oder ob er sich als abgetrenntes, vereinzeltes Wesen empfindet. Wenn Eltern ihren Säuglingen liebevolle Berührungen schenken, leisten sie somit auch Friedensarbeit- im Kleinen wie im Großen.
Nun bereite ich mich darauf vor, bald wieder eigene Thai Yoga Sessions anzubieten. Diese Sessions werden anders sein, als vor der Geburt meiner Tochter. Ich sehe nun hinter jedem Menschen auch dieses kleine Wunderwesen, das ganz am Anfang eines jeden Lebens stand. Völlig schutzlos und unseren Eltern kompromisslos anvertraut. Mit diesem Bild, das mich tief anrührt, möchte ich jede Session beginnen. Ein wunderbares Geschenk meiner Tochter!
Über Sabine Winbeck
Sabine Winbeck lebt mit ihrer Familie in Darmstadt. Sie ist freischaffende Tänzerin und Choreografin und unterrichtet Yoga und MBSR. Mit Hilfe von Achtsamkeitsübungen, Körperbewusstseins-Training und Thai Yoga unterstützt sie Menschen dabei, Stress loszulassen und in ihrem Körper anzukommen. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Lesetipps:
Mechthild Deyringer: "Bindung durch Berührung: Schmetterlingsmassage für Eltern und Babys"
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